Aus dem „Pauli von 1930“ ein Lehrbuch für angehende Köche

An den Lehrchef

Während seiner Lehrzeit steht der Lehrling unter der Leitung seines Lehrchefs, des Küchenchefs. Mag der Chef zusehen, wie er die Aufgabe, die ihm auferlegt ist, bewältigt. Eine harte Aufgabe ist es auf jeden Fall, einen Lehrling heranbilden zu müssen. Wie viele gibt es unter den älteren Chefs, die mit Wohlgefallen an ihre Lehrzeit zurückdenken und ihrem Lehrchef ein gutes Andenken bewahren! So, wie einer ge (1930 waren Frauen in Profiküchen nicht vorgesehen) wünscht hat, dass er behandelt werde, so behandle er seinen Lehrling! Eine väterliche, liebevolle Behandlung hat ein junger Mann, der zum ersten Male unter fremde Leute kommt — und das trifft ja beim Lehrling zu — doppelt nötig. Sorge der Chef dafür, dass sein Lehrling ihm und er seinem Lehrling ein gutes Andenken bewahren kann. Sehe der Chef zu, dass er und seine Arbeiter dem jungen Manne mit gutem Beispiel vorangehen, damit dieser seinen 10 Geboten (siehe nachfolgenden Abschnitt «An den Lehrling») nachkommen kann. Die Prügelpädagogik soll keine Stätte haben im Hotel. Prügeleien und Ohrfeigen, selbst wenn sie nur dem Lehrling gelten, sollen in einem anständigen Hotelbetrieb durch das Hausrecht verwehrt werden. Entweder eignet sich der junge Mann zum Koch und lässt sich bilden mit Worten der Ermahnung, der geistigen und beruflichen Erziehung, dann ist’s gut. Oder er eignet sich nicht, alles Reden und Ermahnen ist nutz- und fruchtlos, dann hilft auch keine Ohrfeige, und der Junge wird besser tun, seine Berufswahl nochmals in Erwägung zu ziehen. Grundbedingung für einen Lehrchef ist Selbstbeherrschung. Er tue nie etwas im Zorne, das er dann bei ruhiger Überlegung bereuen müsste. Der Kochlehrling soll gerecht behandelt werden. Der Lehrchef sei nachsichtig, geduldig, widme sich seinen Lehrlingen in verständiger Art und Weise. Er weihe sie ein in die Geheimnisse der Kochkunst, der Arbeit und wecke ihren Sinn für die Schönheit der Berufsarbeit. Der Lehrchef halte darauf, dass sein Lehrling sein Rezeptbuch ordentlich führt, und dass er die theoretischen Unterrichtsstunden besucht. Er sehe das Buch von Zeit zu Zeit nach, korrigiere Fehler und prüfe alles. Dem Lehrling ist die nötige Freizeit zu seiner geistigen und körperlichen Erholung einzuräumen. Man lasse ihn nicht zu Arbeiten verwenden, die mit der Berufslehre in keinem Zusammenhang stehen. Der Junge ist immer Kochlehrling, aber nicht Hausknecht, der zu allen möglichen und unmöglichen Arbeiten herangezogen werden kann. Der Lehrchef nehme seinen Lehrling fleissig mit auf den Markt, zum Metzger, zum Geflügel- und Wildbrethändler, ins Schlachthaus, zum Gemischtwarenhändler. Er mache ihn vertraut mit den Marktpreisen; er lehre ihn rechnen und halte ihn zum Studium dieses Buches an. Dafür zu sorgen, dass der Lehrling Umgang mit guten Menschen, Nebenangestellten, pflegen kann, liegt ebenfalls dem Lehrchef ob. Und schließlich das Wichtigste: Der Lehrchef lege nicht den Maßstab seines auf langjähriger Ausbildung und Übung begründeten Wissens an den Lehrling. Dieser ist absoluter Anfänger: dem Lehrchef Selbstverständliches ist ihm neu und muss mit Geduld und Methode seinem Verständnis einverleibt werden.

An den Lehrling

Mit dem Antritt Deiner Lehrstelle hat bei Dir, junger Mann, der Existenzkampf begonnen! Du startest zu einem Wettbewerb, in dem Du es mit den tüchtigen und Besten aufnehmen musst. Es ist nicht ein Wettkampf von kurzer Dauer, kein sportliches kurzes Auftauchen, nein, Dein aufgenommener Kampf ist viel edler, es geht dabei um Alles, um Sein oder Nichtsein! Um den Anforderungen gewachsen zu sein, brauchst Du eine ungeheure Ausdauer. Eine vollkommene technische Ausbildung, ein solider Aufbau von Körper und Geist sollen es Dir ermöglichen, alle Schwierigkeiten zu überbrücken, den Versuchungen zu trotzen und immer und immer wieder neuen Mut zu fassen. Gelingt Dir das nicht, so wirst Du von Deinen Konkurrenten, Deinen Berufskollegen überholt, bevor Dir nach langem Kampfe, vielleicht erst im hohen Alter, die Siegespalme winkt. Nütze Deine Lehrzeit gut aus, sie ist nicht bloß eine Vorübung, wie oft angenommen wird, sondern bildet den Grundstein, das Fundament Deiner zukünftigen beruflichen Tätigkeit. Halte Dir zum vollen Gelingen f o l g e n d e zehn Gebote beständig vor Augen:

1. Sei reinlich an Körper und Geist. Unsauber an sich bedeutet unsäuberlich überhaupt. Reinlichkeit im Äußern — Reinheit im Innern. Saubere Kleidung lässt auf einen ganzen Menschen Schließen. Sauber gewaschenes Gesicht, ein heller, frischer Kopf. Sauberes Arbeiten offenbart den tüchtigen Berufsmann.

2. Sei pünktlich und zuverlässig. Unpünktliche Menschen werden es nie weit bringen, auch wenn ihnen etwelche Geschicklichkeit angeboren ist; denn immer wieder wird der zuverlässige Arbeiter vorgezogen, und nur einem solchen kann ein Vertrauensposten übergeben werden. Unpünktliche und unzuverlässige Arbeiter stehen weit unter dem Durschschnitt; für sie wird der Erfolg immer ausbleiben. Der unpünktliche Mensch kommt zu spät in die Schule, zu spät an die Arbeit, kommt zu spät, wenn es sich um eine gute Stelle handelt. Der Pünktliche nimmt dem Unpünktlichen seine Chancen vor der Nase weg, läuft ihm den Rang ab . . . der andere hinkt überall hinten nach . . . beklagt sich, er habe kein Glück auf der Welt.

3. Sei arbeitsam und willig. Ein träger, junger Mensch schläft im Geist, ohne körperlich müde zu sein, hat kein Interesse an der Arbeit, wettert über alles, fühlt sich unglücklich. Sein arbeitswilliger Kollege, mit gesundem Arbeitstrieb, ist in seinen Augen ein Spielverderber oder gar ein Stellenverpfuscher, weil er vom Meister geschätzt wird.

4. Sei lernbegierig und aufmerksam. Um vorwärts zu kommen, genügt es heute nicht mehr, sich mit aller Pünktlichkeit an die Arbeit zu gewöhnen. Man verlangt Aufmerksamkeit, was natürlich dem denkenden Arbeiter leichter fallen wird, als dem faulen. Die Vielseitigkeit unseres Berufes verlangt aber noch mehr, um nicht übertrumpft zu werden: Eine vollständige theoretische Aus-bildung, die man sich durch Unterricht und Studium der einschlägigen Fachbücher aneignen kann. Theorie ist eine gute Vor- und Fortbildung und der Praxis beste Stütze. Sobald Du Dich theoretisch im Beruf ausbildest, wird Dein Geist regsam, die Arbeit geht Dir besser aus den Händen, Du gehst im Beruf auf und erhältst Lust und Freude daran. Es wird Dir klar, warum ein Souffle oder ein Blätterteig an der Hitze in die Höhe gehen, warum man einen Braten begießen muss, warum man grünes Gemüse nur in siedendem Salzwasser aufsetzen darf, überhaupt; jede Handlung wird interessanter, und die Freude am Beruf ist damit erreicht.

5. Sei ordnungsliebend. Ordnungssinn wird die Arbeit erleichtern. en Gegenstand, den man gebraucht hat, an seinen gewohnten Platz zu legen, das hat sich jeder junge Mann bei seiner Arbeit als Richtschnur zu nehmen. Wer das nicht fertig bringt, dem mangelt der Wille zu jedem Erfolg und er wird nicht über das Durchschnittsmaß hinauskommen. Bei einem ordnungsliebenden Arbeiter ist selbst beim größten «Herd» jedes Ding an seinem Platz; beim unordentlichen Koche sieht die Umgebung, oft auch bei der kleinsten Arbeit, einem Schlachtfelde gleich; die Arbeit geht ihm schwer aus den Händen, er schafft und schuftet und ist trotzdem beständig im «Schwindel». Halte Dich während der Arbeit und beim Abräumen der übrig gebliebenen Resten an folgendes Sprichwort: «Jedes Ding an seinen Ort, erspart viel Müh‘ und böse Wort’»

6. Sei zuvorkommend und höflich. Dies ist eine Tugend, durch die man sich die Sympathie der Vorge-setzten und der Mitmenschen sichert. Damit gewinnt man unendlich viel, man bahnt sich den Weg, überall findet man hilfreiche Hände und wohlgesinnte Leute. Bekunde durch Höflichkeit und Fleiss Dankbarkeit gegenüber Deinen Vorgesetzten; damit belohnst Du ihre Mühe, und sie werden Dich mit Freude unterrichten. Schimpfe nicht, wenn Du einmal über das gewohnte Maß arbeiten musst; denn es kommt hauptsächlich Dir zu gut, Du lernst dabei und übst Körper und Geist für noch größere Strapazen, die nicht ausbleiben werden.

7. Sei ausdauernd. Selten ein Beruf verlangt so große Ausdauer wie das Kochen. Führe eine angefangene Arbeit richtig zu Ende, auch wenn damit eine große Aufgabe an Dich gestellt wird. Mit einer guten Dosis Ausdauer kannst Du Hoffnung haben, es zum Meister in den vordersten Reihen zu bringen.

8. Pflege deinen Körper.  Der Koch muss große Arbeit leisten und hat deshalb eine gute Körperpflege nötig. Trage solide Unterwäsche, damit Du Dich nach getaner Arbeit, oder beim Verlassen der heißen Küche und Betreten des kalten Gardemanger, nicht erkältest. Wechsle die Unterwäsche fleissig. Vor allem pflege Deine Füsse! Trage die Socken nicht zu lange; gewöhne Dich in der Küche an hohes, gut gebundenes, solides Schuhwerk.

9. Sei b r a v und r e c h t. Der beste Arbeiter verliert das Vertrauen seiner Vorgesetzten und Mitmenschen, wenn er schlechte Handlungen begeht und lügt. Er sinkt immer tiefer, wird von den Mitmenschen verachtet und ins Unglück gestoßen.

10. Nütze Deine freie Zeit richtig aus. Ist man nicht zu übermäßig ermüdet, so wird Gottes freie Na-tur die beste Erholung bieten. Sie gibt uns, was dem Koche am meisten mangelt, frische, reine Luft. Sie frischt unser Denken im besten Sinne auf, so wie grüne Wiesen und Felder wohltuend auf das Auge wirken. Gehe nicht in schlechte Gesellschaft, sondern unterhalte Dich mit solchen Menschen, von denen Du etwas Gutes lernen kannst. Befolgt ein junger Mann diese zehn Gebote, so braucht niemand, um ihn bange zu sein. Jenem muss eben zum Bewusstsein kommen, dass ihm das                 K ö n n e n nicht in den Schoss gelegt werden kann, sondern dass er sich seine berufliche Ausbildung selbst holen muss und er seines eigenen Glückes Schmied ist. Dann kommt er seiner Pflicht gegen-über sich selbst, gegenüber dem Lehrchef und gegenüber den Mitmenschen nach, hilft am Werke der Kochkunst aufbauen, geht frisch und frei, ohne zu träumen, an die Arbeit und trägt so dazu bei, den Ruf des Koches zu heben!